Leutesheim in den
letzten 100 Jahren
∙ Tabakanbau
Ein Auszug aus dem
Buch "Leutesheim - ein Dorf im Hanauerland und seine Kirche"
von H. Schäfer, U.
Schüz u. a., 1990
Die
Entwicklung des Tabakbaus begann bei uns schon im 17.
Jahrhundert. Der Höhepunkt war um die Jahrhundertwende und
später, als der Hanfanbau mit mehr das notwendige Einkommen
brachte.
Die bei uns hauptsächlich angebaute Tabaksorte war der
„Geudertheimer“, eine wenig anfällige und unempfindliche
Pflanze, die auf leicht sandigen Böden am besten gedieh.
Die Arbeiten im Jahresablauf waren recht vielfältig und nicht
leicht. Schon im zeitigen Frühjahr (März) wurde die
„Diwaggutsch“ (Frühbeet) hergerichtet. Als Pflanzerde verwendete
man gern den „Wiedegrund“ aus alten, morschen Weiden. Er wurde
auf einem großen Blech erhitzt und damit entkeimt und dann
gesiebt.
Vorgekeimt hatte man den Tabaksamen am Kachelofen oder im
Backofen. Der vorgekeimte Samen wurde dann ins Frühbeet
ausgesät. Aus Latten, mit Ölpapier bespannt, wurden Fenster
angefertigt und damit die Erde warmgehalten.
„Diwaggutsch“ (Frühbeet), rechts
im Bild.
Beim Tabaksetzen im Mai waren die ganze Familie und noch
Verwandte und Nachbarsleute eingespannt. Mit einem breiten
Holzrechen markierten Männer die Ackerfläche quadratisch und
eine Satzleine wurde gespannt. Ins Kreuz setzten dann die Frauen
mit einem Setzholz oder mit zwei Fingern die Tabaksetzlinge ein.
Die Männer trugen in Körben die Setzlinge nach. Bei Trockenheit
musste jede Pflanze angegossen werden. Mit Jauchefass, das man
am Bach mit Schöpfkübel und Eimer gefüllt hatte, schaffte man
das Wasser heran. „Wachs on gröen, hesch sonscht nix zöe döen“,
das war Großmutters Segen, wenn sie nach getaner Arbeit über den
Acker schaute.
Bei gutem Wetter wuchsen die Pflanzen schnell heran. Eine
mühsame Arbeit war das notwendige „Diwaggitze“ (geizen). Zwei-
bis dreimal musste diese Arbeit getan werden, damit sich die
Hauptblätter gut entwickeln konnten.
Die Ernte der Blätter erfolgte nach und nach von unten nach
oben. Zuerst wurden die untersten Blätter, die sogenannten
„Grumble“, gelb und man brach sie ab. Danach folgte das
„Sandblatt“, welches den höchsten Ertrag brachte, „Hauptgut“ und
„Obergut“ kamen zum Schluss. Vorsichtig wurden die Blätter
gebündelt, zu Hause sortiert, angestochen und zum Trocknen
aufgehängt.
Tabakschopf
Jedes Jahr aufs Neue freuten sich
die Helfer auf die Geselligkeiten beim Tabakanstechen im
„Diwagschopf“ oder auf der „Ewerbihn“ (Dachboden). Dabei wurden
die Blätter mit einer speziellen Nadel auf Schnüre aufgezogen
und dann unterm Dach an die Dachsparren an Nägeln aufgehängt. Da
der Luftzug unterm Dach nicht ausreichend war, klebten die
Blätter oft zusammen und bildeten Brandstellen (Dachbrand).
Die größeren Tabakbauern bauten daher besondere Tabakschöpfe,
die gut durchlüftet waren und eine einwandfreie Trocknung
ermöglichten. Auch die kahlen Tabakstöcke wurden noch verwertet.
Herausgehackt und getrocknet verwendete man sie zum Anfeuern im
Herd.
Bei diesen Gemeinschaftsarbeiten wurde viel gelacht, erzählt und
gesungen. Dabei hörte man oft nicht, dass Gruppen von
Jugendlichen unterwegs waren, um Schabernack zu treiben. Eine
Luftpumpe, mit Wasser gefüllt, traf gut gezielt durch jede
kleine Öffnung. Eine Frau fand am anderen Morgen ihr Fahrrad auf
dem Birnbaum vor dem Haus. Aus der „Kellerkammer“ wurde auch mal
der Zwetschgenkuchen mitgenommen, dann gab’s eben zum guten
Schluss in der Nacht noch einen „Schläggelflade“
(Marmeladenbrot) und dazu ein selbst angesetztes Nusswasser. Das
„Schlämble“ war auch ein beliebter Spaß, wenn ein Holztor in der
Nähe war. Am Ende einer langen Schnur wurde eine leere Dose oder
Flasche festgebunden, die man vorsichtig am Tor festmachte. Am
anderen Ende der Schnur wurde dann aus sicherem Versteck
ruckartig gezogen. Diese Streiche lösten viel Gelächter und
gelegentlich auch Ärger aus.
Die Vorbereitung zum Verkauf nahm wieder viel Zeit in Anspruch.
Die Blätter wurden vor dem Bündeln nochmals sorgfältig sortiert.
Man stand an einem großen Tisch, Blatt für Blatt ging von Hand
zu Hand.
Der Höhepunkt im Jahr war die Auszahlung des Tabakgeldes, meist
erst im Februar des folgenden Jahres. Da wurde gegessen und
getrunken im Kreise der Tabakpflanzer. Man freute sich, wenn
sich die Arbeit eines Jahres wieder einmal gelohnt hat.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verschlechterte sich die Situation im
Tabakbau mehr und mehr. Anspruchsvolle Tabaksorten erhöhten
Arbeitsaufwand und Risiko. Preisverfall und der Blauschimmel ab
1960 setzten den Tabakbauern arg zu. Die meisten Tabakschuppen
standen bald leer oder wurden umgebaut. In den 60er Jahren kam
dann das Ende des Tabakbaus in Leutesheim.
Tabakschopf in der Linxer Straße (1989), wurde ein Jahr später
abgerissen.
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