Leutesheim in den
letzten 100 Jahren
∙ Fachwerkbau in Leutesheim
Ein Auszug aus dem
Buch "Leutesheim - ein Dorf im Hanauerland und seine Kirche"
von Helmut Schneider, 1990
Jede
Landschaft wird geprägt von ihren Bauten. Gewöhnlich sind es die
Kirchen, welche mit ihren Bauten. Gewöhnlich sind es die
Kirchen, welche mit ihren Türmen Dörfer und Städte
unverwechselbar machen. Doch auch die Bürger- und Bauernhäuser
tragen zu diesem Unverwechselbaren bei.
Krieg und Nachkriegszeit haben bei uns wertvolle Bausubstanz
zerstört oder ihren ursprünglichen Charakter zum Nachteil
verändert.
Je nach Vorhandensein von bodenständigen von bodenständigen
Baumaterialien – Stein oder Holz wurden die Häuser entsprechend
gestaltet. Schon dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus ist
dies aufgefallen. Er schrieb in seinem Buch über die Germanen
sinngemäß: „Sie bauen ihre Häuser aus Holzstämmen und
bestreichen sie teilweise mit Lehm, was ihnen ein freundliches
Aussehen verleiht.“ Seine Heimat in Rom kannte nur Steinbauten.
Die großen Wälder der Rheinebene lieferten bestes Eichenholz in
Fülle, und die Ablagerungen der Flüsse in den Niederungen boten
Lehm in guter Qualität. So ist es kein Wunder, dass gerade die
Dörfer am Oberrhein und besonders des Hanauerlandes von diesen
beiden Materialien geprägt sind. Die starke Dezimierung unserer
Eichenwälder in den letzten 200 Jahren ist nicht zuletzt auf das
massive Bauen mit Holz zurück zu führen.
Leutesheim gehört zu den Ortschaften, deren Bestand an
Fachwerkbauten stark zurück gegangen und heute gefährdet ist.
Neben den Zerstörungen im Krieg mag es daran liegen, dass in
Leutesheim, wie in den anderen Rhein- und Fischerdörfern auch,
die überwiegende Zahl der Fachwerkbauten einstöckige oder sehr
kleine Kniestockhäuser ohne Kellergeschoss waren, was die
Haltbarkeit sehr beeinträchtigte. Trotzdem finden wir auch in
Leutesheim heute noch alle drei Haustypen.
▪
Das einstöckige Haus
In diesem Haustyp ist nur das Erdgeschoss als Vollgeschoss
vorhanden. Das Dach liegt direkt auf den Deckenbalken auf. Meist
sind diese Gebäude sehr schmal, so dass sich oben, zieht man den
Platz unter der Dachschräge ab, keine Möglichkeit ergibt, einen
Raum einzurichten. Diese Häuser sind meist schmucklos.
Der Hintergrund, dass diese einstöckigen Haustypen kaum noch
vorhanden sind, ist das Fundament, das oft nur aus einer Lage
Bruchsteinen besteht. Die Feuchtigkeit aufnehmenden Sandsteine
und die Tatsache, dass diese Fundamente im Laufe der langen Zeit
immer mehr im Erdreich verschwanden (durch Auffüllen von Straßen
und Höfen), ließen den Grundbalken verfaulen und die Wände
feucht werden.
Als ein Beispiel für den einstöckigen Typ mag das Haus in der
Badener Straße 5 gelten (s. Bild). Ursprünglich war im Dachfirst
ein Krüppelwalm vorhanden. Für diesen Typ ist das Haus
außergewöhnlich breit, so dass oben ein nutzbarer Raum
entstanden ist. Auch das Fundament ist wesentlich besser als bei
den meisten einstöckigen Gebäuden. Störend wirken die
sprossenlosen Fenster und die nachträgliche aufgesetzte
Dachgaube.
Einstöckiges Haus (Badener Straße 5): Das Dach
liegt unmittelbar auf der Erdgeschossdecke auf.
▪
Das Kniestockhaus
Dieser Haustyp gilt als Haus des bäuerlichen Mittelstands und
ist im Hanauerland am meisten vertreten. Seinen Namen hat es von
der Überhöhung der Eckbalken über die Erdgeschossdecke hinaus,
meist “kniehoch“, aber auch bis zur Höhe von 1.20 m. In
Leutesheim sind fast ausnahmslos die älteren Typen vorhanden.
Das heißt, die Eckbalken sind aus einem Stück durchlaufen bis
zum Dachansatz. Man spricht hier von einem eingetieften
Kniestock. Der Aufbau des Kniestocks ist umständlicher als beim
neuen Typ, wo der Eckbalken nur bis zur Geschossdecke geht und
ab dort bis um Dachansatz als Kurzstück aufgesetzt wird. Man
spricht hier von einer „kistenweisen Abzimmerung“, also einer
rationelleren Bauweise.
Die meisten Leutesheimer Kniestockhäuser besitzen, im Gegensatz
zu den anderen Hanauer Dörfern, keine Kellergeschosse. Das
Problem der Bodenfeuchtigkeit besteht deshalb besonders hier.
Eines der stattlichsten Kniestockhäuser befindet sich in der
Rathausstraße (s. Bild). Die Kniestockräume waren immer als
Speicherräume gedacht, zur Aufbewahrung von Getreide, Mehl und
Hausrat. Deshalb genügten auch die kleinen Speicherfenster.
Bedingt durch den Kniestock sind diese Räume jedoch ausbaufähig.
Kniestockhaus in der Rathausstraße 12.
Bemerkenswert sind die überstehenden Balkenköpfe, die Doppeltür
und die Kreuzstockfenster.
Ein sehr interessantes Beispiel ist das Gebäude Hintereck 6
(Bild). Deutlich sichtbar ist der durchlaufende Eckbalken.
Interessant auch das asymmetrisch aufgesetzte Dach, welches
durch Kopfbänder abgestützt ist. Beabsichtigt war damit die
regensichere Überdachung der „Landfest“, dem mit Platten
belegten Eingangsweg zur Haustür.
Kniestockhaus (Poststraße 14). Der seitliche
Anbau ist späteren Datums. Im Bild deutlich sichtbar ist die
erhöhte Straßenaufschüttung.
Kniestockhaus (Hintereck 6). Deutlich sichtbar
das asymmetrische ausragende Dach als Regenschutz für den
Eingangsbereich.
Schmuckgiebel-Kniestockhaus. Im unteren Feld
die sogenannten Feuerböcke, oben die Andreaskreuze, die dien
Wunsch nach Vermehrung des Besitzes ausdrücken.
Ein einmalig faszinierenden Schmuckgiebel
hatte das Haus in der ehemaligen Viehgass (s' Wewerhanse Hus). Wir erkennen
Feuerböcke und Rauten mit Andreaskreuzen. Das Bild zeigt auch,
wozu die ausragenden Deckenbalken gut waren. Der Abbruch dieses
Hauses war ein großer Verlust für Leutesheim.
▪
Das zweistöckige Haus
Diese Hausform besitzt zwei Vollgeschosse und ist nur in wenigen
Dörfern des Hanauerlandes in größter Zahl vorhanden (Kork,
Legelshurst, Willstätt). Es war das Gebäude der begüterten
Schicht. Meist waren es größere Bauern und Gastwirte, die sich
solche Häuser leisten konnten.
Ein besonderes schönes Beispiel ist ehem. Gasthaus zum „Adler“.
Die alte Postkarte (s. unten) zeigt uns die ausgewogenen
Proportionen des Gebäudes im alten Zustand.
Ehemaliges Gasthaus zum „Adler“. Besonders
wohltuend waren die schönen Sprossenfenster. Die verliehen dem
Haus Stil und Vornehmheit.
Der Verlust, den das Ortsbild durch den Abbruch des alten
Rathauses erlitten hat, geht aus der nächsten Fotografie hervor.
Man wollte autogerechte Dorfstraßen schaffen, heraus kamen oft
langweilige, gerade Strecken.
Eine besondere Zierde in Leutesheim ist das damals renovierte
Pfarrhaus, das sich nach der Entfernung der Schindelverkleidung
heute wieder im alten Glanz präsentiert.
▪
Holz- und Lehmbauweise
Beides sind Grundstoffe, welche die Heimaterde lieferte. Die
Hanauer Eichenwälder gaben das Material für das Außengerippe der
Häuser, die Schwarzwaldtannen lieferten das Innengerippe und den
Dachstuhl.
Links das abgebrochene alte Rathaus, rechts
das Gasthaus „Sonne“. Interessant sind die relativ großen
Krüppelwalme im First, die nur im nördlichen Hanauerland
vorkommen.
Das alte Rathaus, im Hanauerland Gemeindehaus
genannt, ein Haustyp wie er in vielen Gemeinden vorkam. In den
Remisen waren die gemeindeeigenen Waagen und die
Feuerwehrspritzen untergebracht. Erbaut wurden solche Häuser in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Das Leutesheimer Pfarrhaus gehört mit zu den
drei zweistöckigen Fachwerkhäusern im Dorf. Beim Neubau des
Gemeindesaals versuchte man, sich der Architektur des alten
Hauses anzupassen.
Auf manchem alten
Speicher ist noch Gebälk zu finden, das große Bohrlöcher
aufweist, durch welche die Floßstämme mit Weiden
zusammengehalten würden. Die Ausfachung zwischen dem Gebälk
bestand aus geflochtenem Eichenstecken oder der breiten
Eichenschwarten, welche in Nute eingespannt wurden. Bei der
Herstellung dieses Geflechts sowie zur Herstellung der
„Lehmspiegel“ war die ganze Familie des Bauherrn beteiligt. Holz
und Lehm war ein Baustoff mit guter Isolierwirkung, nachteilig
war jedoch die Wasserempfindlichkeit. Daran änderte auch der
zuletzt aufgebrachte Kalkputz nichts. Man behalf sich deshalb
mit den oftmals in drei Etagen übereinander angebrachten
Wetterdächlein, die wir in der Regel nur auf der Süd- und
Westseite finden. Sie sind charakteristisch für unsere
Fachwerkhäuser.
▪
Aufgabe der heutigen Generation
Unsere Fachwerkbauten sind überkommenes Kulturgut. Es wird zwar
heute wieder teilweise versucht, Häuser im Fachwerkstil zu
bauen, aber nur bei großem Einfühlungsvermögen bezogen auf
Hausumgebung und Landschaft und mit erheblichem finanziellen
Aufwand lassen sich solche Projekte stilgerecht realisieren. Der
Erhalt der übriggebliebenen alten Häuser ist deshalb für uns
eine besondere Verpflichtung. Wir sollten sehr strenge Maßstäbe
anlegen, bevor wir die Wahl treffen zwischen „erhaltenswert“
oder „abbruchreif“.
Auch falsch verstandene Sanierung kann Schlimmes anrichten.
Rollläden, schwere dunkle Ziegel und einiges mehr können ein
Fachwerkhaus bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Die Handwerker
sind hier aufgerufen, solche Dinge in die richtigen Bahnen zu
lenken.
Unsere Aufgabe ist es, der dörflichen Heimat ihr
unverwechselbares Gesicht zu bewahren. Viele Städte haben dies
bereits begriffen. Als Alternative bliebe nur die Uniformität.
Mit ihr schwindet auch die Behaglichkeit, welche wir oft
unbewusst in unserem Dorf empfinden. Lassen wir es nicht soweit
kommen, sondern erhalten wir, was noch vorhanden ist.
|