.



 

 
 
  Sie sind hier:   » Startseite » Archiv » 2009 »
 

 

 
Leutesheim in den letzten 100 Jahren
 
∙ Die Feste feiern, wie sie fallen...

Ein Auszug aus dem Buch "Leutesheim - ein Dorf im Hanauerland und seine Kirche"

von H. Schäfer, U. Schüz u. a., 1990

Schon immer standen die Litzmer in dem Ruf, besonders originelle und gelungene Feste zu feiern. Bis heute hat der „Schliffdi“ nichts von seinem besonderen Reiz eingebüßt. Er wird von den Vereinen für die Dorfbewohner gestaltet, wenn die „offizielle“ Festlichkeit vorüber ist. Hier, am Montag nach dem Fest, treibt die Phantasie bunte Blüten, geistreicher Blödsinn ist angesagt, manchmal etwas derb, aber immer herzlich und nie verletzend. Höchste Prominenz der Weltgeschichte ist ganz selbstverständlich zu Gast in „Bad Krottenloch“, und Ortsteile wie die Musau, Vedder- oder Ewereck stehen im Mittelpunkt des Weltgeschehens.

„Schliffdiwawe“ 1930 bei der „Krone“

Ganz unter sich ist man bei einzelnen Straßenfesten. Hier oder dort – niemals fehlt das „Hintergründige“, meistens wird – auch an Fasnacht – die Orts- und Weltpolitik gleichermaßen gekonnt auf die Schippe genommen.

Ein Punktstück im Festzug des Heimattages 1926 stellte der Wagen der Fischerzunft Leutesheim dar.

Gut in Erinnerung sind noch die Heimattage, die anfangs der 20er Jahre von der Badischen Regierung „angeordnet“ wurden. Jede Gemeinde war mit einem Festwagen in der Kreisstadt vertreten, nach dem man schon ausgiebig im Dorf probe gefahren war. Der Wagen im Jahr 1926, gestaltet von der Fischerzunft, war besonders originell und liebevoll ausgedacht und gestaltet. Der Musikverein unter Lehrer Otto Scholl führte die Abteilung an. Bürgermeister Karl Sänger beschreibt in seinen Erinnerungen den Wagen so: „Ein großer, schwerer Langholzwagen wurde lange ausgezogen und mit Bohlen belegt, in der Mitte wurde ein Wasserbehälter eingebaut und am Wagenende stand ein Weidenkopf mit einem lebendigen Raben darauf“ (“Wiedekopf“ ist der Übernahme oder auch das Markenzeichen der Leutesheimer). Die Darstellung der Fischerei auf dem vierspännigen Wagen Nr. 29 war sinnreich und verblüffend gestaltet. Karl Sänger: „Vom Kopfende her floss ein kleines Bächlein in den Wasserbehälter, das überlaufende Wasser floss aus dem Behälter in einen Zuber unter dem Wagen und wurde von einem Manne immer wieder nach vorne in das Bächlein gepumpt. Die Fischer Karl Ross, Jakob Doll und andere fischten mit dem „Rollbernen“ die großen Karpfen aus dem Wasserbehälter und setzten dieselben in eine Reuse („Bull“) ohne Boden, so dass die Karpfen immer wieder im Wasserbehälter waren.“

Beim Musikfest 1927 wurde erstmals ein eigenes Karussell gebaut.


Karussell beim 70jährigen Jubiläum des Gesangvereins 1932.

Der Wagen wurde allgemein bewundert und seine liebevolle Gestaltung anerkannt. Er trug noch eine Strohhütte („Strohfette“), wie sie die Fischer an den Altwassern des Rheins hatten, in der Hütte war die Pumpe. Davor saß ein alter Fischer (Friedrich Roß) und flocht eine Bull, ein anderer, Georg Reiß, saß da und strickte eine Reuse („Warzluff“). Viel Schilf und Stroh säumten das Bächlein und erweckten den Eindruck, als komme ein Stück des Altrheins angefahren. Fuhrleute und Fischer in ihren Monturen: lange Stiefel, blaue Zwillichkittel und schwarzer Schlapphut, begleiteten das Gespann und sorgten für Leben. „Leutesheim hatte an diesem Tag den Vogel abgeschossen und es wurde im Bezirk lange davon gesprochen. Nach glücklicher Heimkehr ließ Bürgermeister Karch die schönen Karpfen im Schwanen backen. Bürgermeister, Gemeinderat, Fischer und Fuhrleute ließen sie sich beim funkelnden Wein gut schmecken und nur all zu früh kam der Feierabend heran“, berichtet Karl Sänger.

Das “Verrückte Haus“, 1952 beim 90. Jubiläum des Gesangvereins.

Im Sommer 1927 gab es am Altrhein ein großes Musikfest, veranstaltet von dem noch jungen Musikverein. Dazu konstruierten einige ein Karussell aus Balken und einfachem Material. Die Sitze waren besonders originell: Sofa, Backtrog und anderes musste herhalten. Alt und jung ließen sich – mit Handbetrieb – im Kreis drehen. Auch 1932, beim 70jährigen Bestehen des Gesangvereins, wurde wieder ein Karussell gebaut. An den kreuzförmig befestigten Balken hingen die Sitze, jetzt kleine Bänke aus Eisenteilen. Immer wieder gab es auch ein “Verrücktes Haus“, eine besondere Attraktion, an die sich noch viele erinnern.

Überhaupt die Kinderfeste – sie haben Tradition und sind bis heute liebevoll gestaltete Ereignisse bei wechselnden Anlässen. Lange feierte man „ins Schulze Garte“, den man auch Ostergarten nannte, vor allem am Gründonnerstag. Er war früher hier Feiertag. Die Kinder schwangen Fähnchen an Weidenstecken und suchten – am Gründonnerstag – Ostereier.

Die begehrteste Veranstaltung in Leutesheim: der »Litzmer Schliffdi«, wie hier beim 120jährigen Vereinsjubiläum des Leutesheimer Sängerbundes 1982.



zurück | drucken


Aktives Dorf Leutesheim, Mai 2009