Leutesheim in den
letzten 100 Jahren
∙ Die Feste feiern, wie sie
fallen...
Ein Auszug aus dem
Buch "Leutesheim - ein Dorf im Hanauerland und seine Kirche"
von H. Schäfer, U.
Schüz u. a., 1990
Schon
immer standen die Litzmer in dem Ruf, besonders originelle und
gelungene Feste zu feiern. Bis heute hat der „Schliffdi“ nichts
von seinem besonderen Reiz eingebüßt. Er wird von den Vereinen
für die Dorfbewohner gestaltet, wenn die „offizielle“
Festlichkeit vorüber ist. Hier, am Montag nach dem Fest, treibt
die Phantasie bunte Blüten, geistreicher Blödsinn ist angesagt,
manchmal etwas derb, aber immer herzlich und nie verletzend.
Höchste Prominenz der Weltgeschichte ist ganz selbstverständlich
zu Gast in „Bad Krottenloch“, und Ortsteile wie die Musau,
Vedder- oder Ewereck stehen im Mittelpunkt des Weltgeschehens.
„Schliffdiwawe“ 1930 bei der
„Krone“
Ganz unter sich ist man bei einzelnen Straßenfesten. Hier oder
dort – niemals fehlt das „Hintergründige“, meistens wird – auch
an Fasnacht – die Orts- und Weltpolitik gleichermaßen gekonnt
auf die Schippe genommen.
Ein Punktstück im Festzug des Heimattages
1926 stellte der Wagen der Fischerzunft Leutesheim dar.
Gut in Erinnerung sind noch die
Heimattage, die anfangs der 20er Jahre von der Badischen
Regierung „angeordnet“ wurden. Jede Gemeinde war mit einem
Festwagen in der Kreisstadt vertreten, nach dem man schon
ausgiebig im Dorf probe gefahren war. Der Wagen im Jahr 1926,
gestaltet von der Fischerzunft, war besonders originell und
liebevoll ausgedacht und gestaltet. Der Musikverein unter Lehrer
Otto Scholl führte die Abteilung an. Bürgermeister Karl Sänger
beschreibt in seinen Erinnerungen den Wagen so: „Ein großer,
schwerer Langholzwagen wurde lange ausgezogen und mit Bohlen
belegt, in der Mitte wurde ein Wasserbehälter eingebaut und am
Wagenende stand ein Weidenkopf mit einem lebendigen Raben
darauf“ (“Wiedekopf“ ist der Übernahme oder auch das
Markenzeichen der Leutesheimer). Die Darstellung der Fischerei
auf dem vierspännigen Wagen Nr. 29 war sinnreich und verblüffend
gestaltet. Karl Sänger: „Vom Kopfende her floss ein kleines
Bächlein in den Wasserbehälter, das überlaufende Wasser floss
aus dem Behälter in einen Zuber unter dem Wagen und wurde von
einem Manne immer wieder nach vorne in das Bächlein gepumpt. Die
Fischer Karl Ross, Jakob Doll und andere fischten mit dem
„Rollbernen“ die großen Karpfen aus dem Wasserbehälter und
setzten dieselben in eine Reuse („Bull“) ohne Boden, so dass die
Karpfen immer wieder im Wasserbehälter waren.“
Beim Musikfest 1927 wurde
erstmals ein eigenes Karussell gebaut.
Karussell beim 70jährigen
Jubiläum des Gesangvereins 1932.
Der Wagen wurde allgemein bewundert
und seine liebevolle Gestaltung anerkannt. Er trug noch eine
Strohhütte („Strohfette“), wie sie die Fischer an den Altwassern
des Rheins hatten, in der Hütte war die Pumpe. Davor saß ein
alter Fischer (Friedrich Roß) und flocht eine Bull, ein anderer,
Georg Reiß, saß da und strickte eine Reuse („Warzluff“). Viel
Schilf und Stroh säumten das Bächlein und erweckten den
Eindruck, als komme ein Stück des Altrheins angefahren.
Fuhrleute und Fischer in ihren Monturen: lange Stiefel, blaue
Zwillichkittel und schwarzer Schlapphut, begleiteten das Gespann
und sorgten für Leben. „Leutesheim hatte an diesem Tag den Vogel
abgeschossen und es wurde im Bezirk lange davon gesprochen. Nach
glücklicher Heimkehr ließ Bürgermeister Karch die schönen
Karpfen im Schwanen backen. Bürgermeister, Gemeinderat, Fischer
und Fuhrleute ließen sie sich beim funkelnden Wein gut schmecken
und nur all zu früh kam der Feierabend heran“, berichtet Karl
Sänger.
Das “Verrückte
Haus“, 1952 beim 90. Jubiläum des Gesangvereins.
Im Sommer 1927 gab es am Altrhein
ein großes Musikfest, veranstaltet von dem noch jungen
Musikverein. Dazu konstruierten einige ein Karussell aus Balken
und einfachem Material. Die Sitze waren besonders originell:
Sofa, Backtrog und anderes musste herhalten. Alt und jung ließen
sich – mit Handbetrieb – im Kreis drehen. Auch 1932, beim
70jährigen Bestehen des Gesangvereins, wurde wieder ein
Karussell gebaut. An den kreuzförmig befestigten Balken hingen
die Sitze, jetzt kleine Bänke aus Eisenteilen. Immer wieder gab
es auch ein “Verrücktes Haus“, eine besondere Attraktion, an die
sich noch viele erinnern.
Überhaupt die Kinderfeste – sie haben Tradition und sind bis
heute liebevoll gestaltete Ereignisse bei wechselnden Anlässen.
Lange feierte man „ins Schulze Garte“, den man auch Ostergarten
nannte, vor allem am Gründonnerstag. Er war früher hier
Feiertag. Die Kinder schwangen Fähnchen an Weidenstecken und
suchten – am Gründonnerstag – Ostereier.
Die begehrteste
Veranstaltung in Leutesheim: der »Litzmer Schliffdi«, wie hier
beim 120jährigen Vereinsjubiläum des Leutesheimer Sängerbundes
1982.
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