Leutesheim in den
letzten 100 Jahren
∙ Berufe und Tätigkeiten
aus alter Zeit
Ein Auszug aus dem
Buch "Leutesheim - ein Dorf im Hanauerland und seine Kirche"
von H. Schäfer, U.
Schüz u. a., 1990
Krempen
Frauen brachten landwirtschaftliche Erzeugnisse, wie Gänseleber,
Entenleber, und anderes auf den Wochenmarkt in Straßburg, später
dann nach Kehl in das Gasthaus „Bären“.
Straßenmeister
Im
Winter fuhren die Bauern mit ihren Pferdegespannen Kies in die
Feldwege, in die Dorfstraßen und auf die Kieslager an den
Verbindungsstraßen zwischen den Dörfern. Die Verantwortung
hierfür hatten die Straßenmeister.
Eismacher
In
strenger Winterkälte hauten Männer das dicke Eis des Altrheins
ein, teilten es in tragbare Stücke und fuhren diese mit
Pferdefuhrwerken zum Eiskeller der Brauerei im Gasthaus „Sonne“.
Wenn der „Bott“ das “Ise“ (“das Eisen“, als Verb)
bekannt gab, dann wussten die Leute: „Hit word g’ist“
(“geeist“).
Maurer und
Pflasterer
Im
Winter wurde oft die Arbeit der Maurer und Pflasterer
eingestellt oder war nicht mehr möglich. Sie wurden dann auch
für Waldarbeiten eingesetzt. in Notstandsarbeit wurde das
Waldgebiet „Gritt“ ausgestockt.
Der Grabenmeister
hatte die Verantwortung des Wasserzu- und Ablaufs in den Gräben
der Gemarkung. Das Sauberhalten des Bachbetts, das Mähen der
Uferböschung sowie das Entfernen des Gestrüpps war auch seine
Aufgabe. Diese Arbeit führte er mit Taglöhnern aus.
Dreimal im Jahr war Bachabschlag. Der Bezirksgrabenmeister
kam einmal im Jahr zur Begehung.
Die
Kirchenschaffenei wie auch das Domänenamt hatten je ihren
eigenen Güteraufseher. Dieser hatte die Aufsicht und
Verantwortung für die Feldgrundstücke (Äcker und Wiesen). Er
führte ein Verzeichnis der Pächter.
Der
Schweinehirt sammelte durch die Straße die Schweine und
trieb sie zur Sauweide. Die Haltung des Ebers hatte ein
örtlicher Bauer der von der Gemeinde bezahlt wurde.
Der
Gänsehirt zog mit den Gänsen an den Bach. Daraus ergaben
sich die schönsten Federn, die für den Eigenbedarf verwendet
wurden.
Der
Kastrierer (Nonnenmacher) war dafür ausgebildet, die 6
Wochen alten Ferkel unfruchtbar zu machen.
Der
Farrenwärter (Stierfütterer) hatte eine nicht gerade leichte
und zugleich gefährliche Tätigkeit, bei der schwere Verletzungen
oftmals auch zum Tode führten. Aus einer mündlichen
Überlieferung weiß man, dass ein Stierfütterer eines seiner
Tiere regelmäßig vor den Wagen spannte und stolz durch Dorf und
Feld fuhr. „Ich setz euch glich den Kopf zwesche d’ Ohre“,
schrie er die Jungen an, die dabei sein und beobachten wollten,
was wohl der Herr Stier mit der Frau Kuh mache.
Der
Mühlknecht fuhr mit dem Planwagen durch das Dorf, nahm
Getreide im Tausch gegen Mehl und Schrot mit in die Mühle. Die
Bauern zahlten nicht bar, sondern nur mit Getreide.
Hausmetzger
Er
kam mit den scharf geschliffenen Messern, seiner
Wachstuchschürze, sprach der Sau gut zu, band ihr ein Seil an
einem Fuß und an einem Balken fest. Erst ein Schnaps, dann die
Axt, und mit einem gezielten Schlag fiel die Sau um. Ein Stich
mit dem Messer und das Blut floss in eine flache Schüssel. Durch
ständiges Rühren mit zwei Kochlöffeln wurde das Gerinnen
verhindert. Das Blut fand Verwendung für Schwarzwurst. In der
Metzbütt wurde die Sau „gebrüht“, geschabt, aufgehängt und in
zwei Hälften gespalten. Aus diesen wurden die Schinken, die
Speckseiten, die Ripplen und Schäufele herausgeschnitten und ca.
3 Wochen in den Lack gelegt. Zum Kesselfleischessen versammelte
sich die Familie mit der Nachbarschaft und aß vom Schwänzel, Ohr
vom Wädel und von der Schnurr. Zum guten Schluss bekam der
Metzger Kaffee und Kuchen. Bald darauf kam der
Trichinenschauer mit seinem Untersuchungsgerät.
Die
Fischer strickten mit der eigens dafür geschnitzten Nadel
die netze für „Bärne“, „Setzbärne“ und „Streifbärne“ sowie für
„Fulosch“. Auch die Bull verstanden sie anzufertigen. Der
„Litzmer“ Bauer-Onkel fuhr mit dem Bännewägele auf den
Fischmarkt nach Straßburg und verkaufte dort seine Fische.
Fischen mit dem „Bernen“ im Rhein (1938).
Fischen mit dem „Setzbernen“ im Altwasser (um 1930).
Fischereimotiv, Mosaik im Foyer der Leutesheimer Grundschule.
David Thorwart, im Nachen am „Verlej“ (Absperrnetz),
kontrolliert die „Warzluff“ (Reuse).
Der
Korbmacher stellte Rübenkörbe, Helmenkörbe, Bogenkörbe,
Waschkörbe aus geschälten Weiden, Schließkörbe her. Er band
Korbflaschen ein. Mancher Fischer ließ Warzlof und Bulle bei ihm
machen.
Der
Bennemacher fertigte für das „Bennewägl“ die Benne (oberer
Teil des Wagens) an. Auch „Sauriese“ fertigte er an.
Der
Händler. Das Brennholz reichte nicht immer aus. es gab Kohle
und Brikett sowie Sterholz und Lättelwellen im Dorf zu kaufen.
Hasenpelz, Ziegenfell und Lumpen wurden vom Händler gekauft. Mit
dem Verkauf von Bremsenöl, Wagenschmiere, Fliegenfänger,
Schuhfett, Rechen, Sensenwürbe u. ä. konnte sich August Kreiner
seinen Lebensunterhalt verdienen.
Fotograf.
Auf einem Gestell mit schwarzem Tuch, darunter der Apparat – so
wurden wir abfotografiert.
Der
Rasierer schabte den Männern den Bart und schnitt ihnen die
Haare. Diesen Dienst verbuchte er und zog den jährlichen Beitrag
von 2,- RM am Ende des Jahres ein. Einmal rasieren kostete 10
Pf. Der Rasierer hatte nebenbei noch mancherlei Dienste im Ort.
So war er auch zweitweise zuständig für das Aufziehen der
Kirchenuhr. Die Straßenlampen (Erdöl) am Abend anzuzünden.
Später reparierte er noch Fahrräder.
Totengräber,
Leichenbeschauer, Leichenwagenfahrer.
Im Jahre 1936 wurde von der Gemeinde der erste Leichenwagen
gestellt. Eine Fahrt mit Ross, Mann und Wagen kostete 5,- Mark.
Waschfrau.
In den Gasthäusern „Sonne“ und „Adler“ begann für sie ihre
Arbeit mit dem Sonnenaufgang. Am Abend zuvor wurde die Wäsche in
einer Lauge aus überbrühter Holzkohlenasche eingeweicht. Am
Morgen wurde wieder Lauge zum Kochen gebracht und darin die
Wäsche gekocht. Dann zweimal gespült. In das letzte Spülwasser
wurde Wäscheblau gegeben. Manche Stücke wurden auf der
„Duchbleich“ gebleicht.
Die
Hebamme. Hausgeburt, Beratung der Wöchnerin, sie nahm Teil
an der Taufe. Taufkissen und Taufkleidchen brachte sie mit.
Säugamme.
Eine junge Frau von hier wurde in das Haus des Prinzen Max von
Baden gerufen, um als Amme einem dortigen Kind mit ihrer Milch
auszuhelfen. Als Lohn und Dank erhielt sie eine neue Hanauer
Tracht.
Strickschullehrerin.
Großherzogin Luise von Baden unterhielt eine
Hauswirtschaftsschule für bedürftige Mädchen in Karlsruhe. Auch
von Leutesheim wurde ein Mädchen aufgenommen, die Gemeinde trug
die Kosten. Nach der Ausbildung kam sie zurück und brachte den
schulpflichtigen Mädchen das Nähen, Flicken und Sticken bei.
„Dass s’ Geld besser langt“, weiß heute noch eine Schülerin von
damals zu erzählen, und nicht nur dies: „fürs ganze Läwe het ons
d’ Karchwebers Bäb vill metgann.“
Die
Kappenmacherin. Sie fertigte neue Kappenschlüpfe an und
frischte alte auf.
Ein
Auswanderer des letzten Jahrhunderts macht ein Amerika mit
sehr viel Fleiß und Entbehrung eine Erfindung. Am Ziel seiner
Vorstellung angelangt, bekam er jedoch als Deutscher nicht das
Patent. Er kehrte arm und krank zu seiner Familie zurück. Er
blieb bis zu seinem Tode für alle Einwohner „s’ Becke
Amerikaner“.
Die
Büglerin stärkte und bügelte die Trachtenhemden der Frauen,
die gefälteten Hemden und verschiedenen losen Kragen der Männer,
zu Hochzeiten frischte sie die Paradekissen auf. Das
Holzkohleneisen war ihr Handwerkszeug.
Der Weber
wob Hanf und Flachs – Wergenes – Werk war grob gesponnenes
Leinen für Zwilchsäcke, Mehlsäcke und für Gurten. Kelsch war
grobes, buntes Leinen für Bett- und Kissenbezüge.
Der Färber
gewann aus Pflanzen Farben und färbte das gesponnene Garn ein.
Dies geschah nicht in unserem Ort.
Der Bäcker
buk Kritzerbrötle, Batzebredle, Brezeln, Wißbrotstellele (für 30
Pf.) u. a.
Brotausfahren.
zwei Frauen machten für je einen Bäcker samstags ihre Tour mit
Backwaren durch das Dorf. Hierzu benützten sie eine
„Brotschese“. Auf ihre Trillerpfeife horchten die Leute und
kamen zum kaufen „off de Kritzwaj“.
Der
Sattler hatte auch seine eigene Werkstatt. Er fertigte neue
Sättel und Pferdesielen an sowie auch Kummet für die Kühe und
Pferde. Er lebte überwiegend von Reparaturen. Lederne
Schulbücherranzen kamen ebenfalls aus seiner hand. Lederriemen
zum Antrieb von maschinen wurden nach Maß von ihm angefertigt
und repariert. Später kam noch die Arbeit des Polsterns hinzu.
Matratzen zur Hochzeit wurden beim Sattler bestellt. Die Rohware
Roßhaar wurde in Gemeinschaftsarbeit von Familienangehörigen
aufgezupft, was schon Vorfreude zur Hochzeit mit sich brachte.
Der Binder
war mit dem Fachwerkbau beschäftigt. Mit Lehm, Stroh und Wasser
sowie biegsamen Latten, teils Eiche, teils Weide wurden die
Gefache (Riegel) ausgemauert. Der Außenputz wurde mit Lehm und
Haaren aufgetragen. Wir kennen Binder als Familienname, welcher
aus dem Elsass in unseren Ort kam.
Der
Schmied formte Eisenreifen und zog sie auf die Räder auf. Er
schmiedete Torbänder für große und kleine Tore, Zahnräder für
Triebwerke. Hinzu kam auch das Fachwissen des Hufschmiedes. Die
Schmiede bot sich im Winter an als Treffpunkt der Männer um sich
aufzuwärmen.
„s’ Philippe Schmid“ (1914)
Der Wagner stellte Wagen je nach Bedarf her. Dies für
Kuh- und Pferdegespanne, Hau- und Dielenwagen mit allem Zubehör.
Auch Futterwagen und kleine Leiterwägele „Kärch’l“.
Der
Drechsler. Die Arbeit des Drechslers bestand u. a. in der
Anfertigung von Spinnrädern, drehte Sprossen für Treppengeländer
und deren Abschlussköpfe. Er drehte Stollen für Tische und
Stühle. Die Kinder kauften bei ihm Tanzknöpfe (Surr, Schnurr).
Präparator
(Usstopfer). Mit einem scharfen Messer löste er die Fellhaut
oder die Federnhaut – beim Fisch die Schuppenhaut – der toten
Tiere und balsamierte diese mit Allün ein. Aus dünnem
Maschendraht wurde die Form des jeweiligen Tierkörpers aufs
Genaueste nachgeformt. Die Haut legte er vorsichtig darüber.
Beim Federvieh musste jeder Feder anliegen. Dann zweiwöchige
Trockenzeit. Eichhörnchen, Marder, Mäusebussarde, Fische, jede
Tierart brauchte andere Augen, die es zu kaufen gab. Juden
brachten die Köpfe der Zieglein zu ihm. Die zu präparieren
machte ihm besondere Freude. mit einem Spatz fing diese
Leidenschaft an. Literatur kannte der Sutter Karl nicht. (Des
wäß ma oder ma wäß es net.). Für den Kopf eines Wildschweins
verlangte er 20,- Mark. Für eine Wildente ca. 2,- Mark.
Viehversicherungsverein.
Er bestand fast in jedem Dorf. Der Beitrag musste eingezogen
werden. Bei Notschlachtungen wurden das angefallene Fleisch und
die Knochen in die Scheune des betroffenen Landwirts ausgehauen.
Dies gab der Bott im Dorf bekannt.
Kinderschulgeld
– Kindergartenbeitrag. Pro Kind und Woche wurde 30 Pfennig
eingezogen und musste im Pfarrhaus abgerechnet werden.
Milchsammelstelle.
1936 wurde die Milchsammelstelle eingerichtet. Bauern lieferten
ihre Milch an und mussten Magermilch zurücknehmen. Butter und
Käse konnte bei der Sammelstelle bezogen werden. Die Abrechnung
erfolgte einmal im Monat.
Der
Milchwagenfahrer brache die Kannen mit der Milch mit dem
Pferdefuhrwerk nach Kehl zur Milchzentrale. Dies geschah
abwechselnd. Der Fahrerverdienst betrug pro Woche 5,- Mark.
In kleinen
Krämerläden
konnte der Bedarf an Zichorie, Senf, Zucker, Essig u. a. gekauft
werden.
Die
Poststelle befand sich im alten Schulhaus in der Wohnung des
Lehrers Hopp. Den Postsack brachten Männer zu Fuß nach Straßburg
und später einmal in der Woche nach Kehl.
Pendler
fanden Arbeit in Straßburg, im Kehler Hafen, „in s’ Tricke“
(Zellstoffwerk), im Rheinbauamt und anderen Kehler Betrieben.
Der Bott.
Er musste Bußgeld einziehen, samstags fegen (Rathausplatz). Kuh-
und Pferdefuhrwerke sowie Sauhirt sorgten für Straßendreck. Kann
einer in den Ortsarrest, musste der Bott ihm seine
Ausweispapiere, Messer und Streichholz abnehmen und auch wieder
zurückgeben. „Den Eingesperrten mit Wasser und Brot versorgen,
im Winter den Ofen in dem Raum (Rappele) unterhalten und den
Raum sauber machen.“ Es soll vorgekommen sein, dass einer über
seine Zeit bis zum Freilassen, vergessen wurde.
Handwerksburschen, Obdachlose und Betrunkene waren im Ortsarrest
in Schutz und auch die Bevölkerung vor ihnen.
Der letzte „Bott“ in Leutesheim (um 1955)
Der Bangert verwarnte Diebe in der Gemarkung.
Der
Spielmann und Unterhalter. Mit seinem Bandonium spielte er
bei Hochzeiten und geselligen Anlässen auf. Von einem Spielmann
wird erzählt, dass er den Namen „de Spiel nor eenmol“, bekam,
weil er nur ein Musikstück spielen konnte, und dieses immer
wiederholte.
Die
Hochzeitsköchin war ein äußert tüchtige Frau im Dorf. Mit
ihr wurde das Hochzeitsessen besprochen und organisiert. Sie war
verantwortlich, dass es reichlich war und gut schmeckte.
Bollesupp gabs zu Beginn. Danach Meerrettich mit Rindfleisch und
Beilagen. Am Nachmittag Kaffee, Linzertorte und Obstkuchen. Zur
Verwunderung der Gäste gab es „Baumstamm“ à la Buttercremetorte.
Nach der Rückkehr vom Lokal in welchem die Gesellschaft
ausgiebig getanzt hatte, gab’s selbstgemachte Nudeln und
Sauerbraten. Dessen nicht genug, um Mitternacht wurden noch
Sauerkraut und Bratwürste aufgetragen. Die zufriedenen Gäste
sammelten untereinander ein Trinkgeld für die Köchin ein.
Der
Feuerreiter. Bevor es die Sturmglocke gab, sie war auch
unter dem Namen „Stolperglock“ bekannt, weil bei Brandgefahr die
Glocke anders geläutet werden musste, um die Bevölkerung
aufmerksam zu machen. Jeder Bürger wusste, dass der Schlüssel
zur Kirch im „Käschtl“ hängt.
Der
Krauthobler. Krauthobel, Stößel und Bohrer waren seine
Werkzeuge. Der Hobel lag über eine Bütte, darin stand ein Korb,
in welchen das fein gehobelte Kraut fiel. Dieses wurde
lagenweise mit Salz in die Krautstande gefüllt und mit dem
Stößel gestampft. Für jeden Korb gehobeltes Kraut gabs einen
Schnaps. Die ganze Familie war dabei versammelt. zur Vorarbeit
gehörte auch, die Krautköpfe zu säubern und mit dem Bohrer den
Strunk auszuhöhlen.
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