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Leutesheim in den letzten 100 Jahren
 
∙ Mit dem Bimmelbähn'l nach Kehl

Ein Auszug aus dem Buch "Leutesheim - ein Dorf im Hanauerland und seine Kirche"

von H. Schäfer, U. Schüz u. a., 1990

Wie wenige Orte war Leutesheim mit der Kleinbahn verbunden, benützte diese doch die Hauptstraße und damit auch die Engstelle am alten Rathaus. Noch heute sagt man zur Bushaltestelle liebevoll „s’ Bahnhiesl“, über 25 Jahre nach der Einstellung. Manche reizvolle Begebenheit ist aus der Zeit der kleinen Dampfbahn überliefert.

Die Schmalspurbahn (Meterspur) war natürlich ein Kompromiss, ein bescheidener Trost für den „Verzicht“ auf die Hauptbahn Rastatt – Kehl – Straßburg. Neben strategischen Gründen (Grenznähe) war es das Gewicht der Städte am Fuß des Schwarzwaldes und auch die von Anfang an geplanten Stichbahnen (z. B. nach Baden-Baden), die die Lage der Magistrate bestimmten. Die Anbindung der Städte Kehl und Straßburg in Appenweier hat heute noch etwas Provisorisches mit den engen Kurvenradien und den fehlenden Überführungen.

Das Bähn’l vor dem Gasthaus “zur Sonne“ (1920)
 

Zweiachsiger Triebwagen (um 1935)
 

Vierachsiger Schlepptriebwagen
 

Das Hanauerland, abseits der großen Verkehrsströme, konnte sich mit dieser Entwicklung nicht zufriedengeben. So gab es bald hier und dort Initiativen, vor allem auch in Straßburg, wo Anfang 1880 Ingenieur Single mit Bankier Blum-Auscher und vor allem der Bahnbaufirma Bachstein Verbindung aufnahm, mit dem Ziel, eine Lokalbahn im Hanauerland und im Ried zu bauen. Am 30. September 1889 fand in Kehl eine Versammlung der Bürgermeister statt, deren Gemeinden von der geplanten Bahn berührt wurden. Es wurden konkrete Beschlüsse gefasst, auch bezüglich der Finanzierung. Ein Jahr später wurde der Bahnbau mit folgendem Erlass genehmigt: „Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben mit Allerhöchster Staatsministerial-Entschließung vom 27. September 1890 Nr. 611 gnädigst geruht, die Zugslinie für die Lokalbahn von Kehl über Lichtenau nach Bühl […] zur Ausführung zu genehmigen“.

Die Bauarbeiten gingen zügig voran. Am 11. Januar 1892 konnte die Bahn in ihrer ganzen Länge dem Betrieb übergeben werden.

Am Eröffnungstag befuhr der Großherzog persönlich die Strecke. Die Fahrt schien im zugesagt zu haben, denn die Aufenthalte verlängerten sich und so wurde es dämmerig, bis der Zug in Leutesheim eintraf. Der Gesangverein unter Lehrer Hopp sang ein Lied. Dieses Ereignis war immer wieder einmal, so in den 70er Jahren, Gegenstand von „Schliffdi“-Darbietungen, wie der “Entenköpfer“ überhaupt.

Die Bahn erreichte, von Auenheim kommend, auf dem alten Hochwasserdamm die Straße und weiter am Straßenrand das Dorf. Anders als z. B. in Auenheim, Honau oder Diersheim war hier nur die Trasse der Hauptstraße möglich. So war die Bahn mitten im Ort präsent, hielt wenige Meter von der „Sonne“, ein immer wieder wichtiger und angenehmer Umstand, auch für das Bahnpersonal. Sie passierte dann behutsam die Engstelle am alten Rathaus, um bei der Einmündung der Linxer Straße, vorbei an der Tuchbleiche und dem Milchhäusle wieder freies Feld zu gewinnen. Der Güterschuppen mit Rampe für Normalspurgüterwagen, die mittels Rollböcken über die Schmalspur angefahren wurden, befand sich gegenüber dem Farrenstall (heute Feuerwehrhaus), beim Geschäft Gottlieb. Durch Wiesen und Gebüsch, vorbei an den Fischweihern (Reesen) und dem Linxer Weg gingen die Schienen nach Honau. Dort befand sich der zweite Bahnhof auf der Gemarkung Leutesheim: die Station Honau.

Die Bahn wurde sofort gut angenommen und erwies sich bald als unentbehrlich. Waren vorher die Leutesheimer Bürger, die in Kehl oder Straßburg arbeiteten, stundenlang zu Fuß unterwegs, konnten sie nun nach dem 10-Stunden-Arbeitstag noch die eigene Landschaft umtreiben. Die Kehler Schulen konnten nun, wie die in Rheinbischofsheim, ohne Probleme besucht werden. Arzt und Krankenhaus waren leichter erreichbar und die Kehler Geschäftswelt fand neue Kundschaft.

MEG-Tenderlok, Baujahr 1948 (1969)
 

Die kleinen Dampfloks, erbaut in der Elsässischen Maschinenfabrik Grafenstaden bei Straßburg und anderen Firmen, besorgten den damals noch konkurrenzlosen Verkehr. Das Depot der Bahn befand sich unmittelbar am Rhein, oberhalb der Kehler Rheinbrücke. Mehrere Dorfbewohner arbeiteten bei der Bahn als Lok- und Triebwagenführer, Schaffnerin oder im „Bahnbetriebswerk“. Dank der Bahn war durch viele Jahrzehnte hindurch die Verbindung nach Straßburg selbstverständlich. Die neue Mobilität bedeutete in vielfacher Hinsicht eine gründliche Änderung, wenn man bedenkt, dass es vorher nur das Pferdefuhrwerk gab. Die Straße entlang der Bahn war schmal und wurde erst 1938 geteert.

Die Bahn gehörte zunächst der Straßburger Straßenbahn. Am 1. November 1923 wurde das Netz – als Folge des Krieges – selbstständig; die Mittelbadische Eisenbahnen AG (MEG), am 30. Juni 1923 gegründet, übernahm die Bahn. Nach dem letzten Krieg ging die MEG in der neugebildeten Südwestdeutschen Eisenbahnen AG (SWEG) auf. Schon 1934 wurden die zweiachsigen Dampfloks durch kleine Triebwagen von Orenstein & Koppel sowie Fuchs, Heidelberg, ergänzt. Sie fuhren jedoch kaum schneller, vor allem, wenn sie Güterwagen zu schleppen hatten. Später folgten vierachsige Schlepptriebwagen mit 150 PS Motorleisten und 65 km/h Geschwindigkeit, sie kamen aus der Maschinenfabrik Wismar. Dennoch zeichnete sich in den Nachkriegsjahren der Anfang vom Ende ab: Die Fahrzeiten waren zu lang, das eigene Motorrad oder Auto waren immer verfügbar. Noch der Fahrplan vom Sommer 1965 weist werktags 13 Zugpaare Kehl – Freistett auf, aber schon verkehrten Omnibusse, vor allem über Bodersweier.

Am „Bahnhies’l“ (1935)
 

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Auszug aus dem Sommerfahrplan von 1965 (Klicken zum Vergrößern)
 

Schon ein Jahr später, zum Winterfahrplan 1966 wurde der Personenverkehr und zum 30. Dezember 1967 auch der Güterverkehr eingestellt. Unmittelbar Anlass zur Einstellung der “lebenswichtigen“ Teilstrecke Kehl – Auenheim war der vierspurige Ausbau der B 28. Auf der Kinzigbrücke lag das Schmalspurgleis mit Verkehr in beiden Richtungen buchstäblich im Weg. Am 24. September 1966 fuhr der letzte Personenzug von Kehl nach Freistett. Die Zeit der Kleinbahn war vorbei, die Gleise wurden „rückgebaut“, die Trasse ist heute teilweise Radweg, sonst kaum mehr erkennbar. Eine Epoche ging zu Ende – die Bahn, jahrzehntelang geschätztes und unentbehrliches Verkehrsmittel, musste dem Fortschritt, vor allem aber dem Bedürfnis nach Geschwindigkeit weichen. Den Verkehr übernahmen die Busse der SWEG. Die kleine Bahn lebt weiter in der Erinnerung und auf Fotografien.

MEG-Tenderlok, 50er Jahre


Der "Entenköpfer" passiert die damalige Engstelle am alten Rathaus. Rechts im Bild die damals existierende Brückenwaage.



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Aktives Dorf Leutesheim, März 2009